Kleingruppenandacht  |  Woche 7

Gott verkünden II

Ich habe vor Jahren ein Gedicht von Erich Kästner gelesen. Es heißt „Der Blinde an der Mauer“. In dem Gedicht geht es um einen blinden Bettler, an dem die Menschen nur so vorbeihasten. Jeder hat seine eigenen Sorgen, Probleme und Termine. Niemand nimmt den Bettler wahr. Und so fordert der Blinde die Menschen schließlich auf:

Tretet näher! Lasst euch nieder,

bis ihr ahnt was Blindheit ist.

Senkt den Kopf und senkt die Lider,

bis ihr – was euch fremd ist – wisst.

Letzte Woche haben wir uns mit den verschiedenen Möglichkeiten beschäftigt, wie man Gott verkünden kann. Wir haben an Abraham, Esther, Elia und Tabita gedacht. Diese Woche wollen wir uns eine Variante des Verkündens noch einmal genauer anschauen. Der blinde Bettler hat nur einen Wunsch. Er möchte gesehen werden. Er möchte, dass jemand kommt, sich zu ihm setzt und versucht nachzufühlen, wie es ihm geht. So viele Menschen sind schon an ihm vorbeigelaufen, dass er fast die Hoffnung aufgegeben hat, gesehen zu werden.

Dieses Gedicht erinnert mich an eine Begebenheit im neuen Testament. Wir finden sie in Lukas 18, 35 – 43. Jesus ist auf dem Weg nach Jericho. Auf seiner Reise trifft er die verschiedensten Menschen. Einen jungen Mann, der fast bereit ist Jesus zu folgen, aber dann zögert. Da gibt es seiner Meinung nach zu viel zu verlieren. Er ist reich, jung, gebildet und soll seinen Status aufgeben? Das kann er nicht. Und dann trifft Jesus auf jemanden, der nichts mehr zu verlieren hat. Ein Bettler. Zerlumpt, ohne Ansehen, Reichtum oder Status. Ich stelle mir Bartimäus so vor, wie den Bettler in dem Gedicht. Ohne Hoffnung sitzt er am Straßenrand. Niemand sieht ihn an, niemand kümmert sich um ihn. Doch dann bekommt er die Chance. Jesus zieht an ihm vorbei. Und so nimmt Bartimäus alle seine Kraft zusammen und ruft nach ihm. Die Menschen um ihn herum befehlen ihm zu schweigen. Doch er hört nicht auf sie. Bartimäus ruft nur noch lauter. Danach gesehen zu werden, nach Heilung, nach Liebe. Und Jesus sieht. Und heilt. Und liebt.  

Vielleicht können wir keine Blinden sehen lassen. Aber Leid gibt es immer noch genug um uns herum. Vielleicht rufen die Menschen nicht immer lautstark nach uns, aber Heilung und Liebe benötigen sie trotzdem. Und deswegen möchte ich diese Woche einladen, dass du auf die Einladung des Bettlers aus dem Gedicht eingehst. Dass du hinter die Fassaden, hinter das Lächeln schaust. Dass du für einen Moment innehältst, stille wirst und auf das Schreien der Menschen achtest. Vielleicht braucht jemand eine Umarmung und ein Ohr, dass zuhört. Jemand anderes ist momentan so im Stress, dass er es nicht schafft zu kochen? DU könntest ihm eine Mahlzeit vorbeibringen. Dabei geht Nächstenliebe noch viel tiefer als einfach für jemanden da zu sein. Indem wir uns um andere Menschen kümmern, zeigen wir auch Gott wie sehr wir ihn lieben. Aus Liebe zu uns ist Gott Mensch geworden. Aus Liebe zu Gott sehen wir die Menschen um uns herum mit seinen Augen und kümmern uns um sie. Und ich wünsche mir, dass du durch diese Taten der Freundlichkeit, des Mitleids und der Liebe beginnst zu verstehen, wie Gott auch dich ansieht. Nämlich mit der gleichen Freundlichkeit, dem gleichen Mitleid und der gleichen Liebe. Nur, dass sie bei ihm noch viel tiefer geht, als wir es uns jemals vorstellen können.

Weiterführende Fragen:

Lies Matthäus 25, 31 – 46. In diesen Versen werden wir dazu aufgerufen, Jesus in den Menschen um uns herum zu sehen. Was könnte sich in deinem Umgang mit den Menschen verändern, wenn du dir diesen Gedanken bewusst machst?

Was ist der Unterschied darin Nächstenliebe zu praktizieren, weil Jesus es geboten hat oder weil wir es als eine Möglichkeit der Anbetung sehen? Welche Gefahren/ Chancen bieten beide Blickwinkel?

Wie kannst du Nächstenliebe noch praktischer in deinen Alltag einbauen?